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Wie Natur auch sein kann, erfuhr ich auf Providencia, einem kleinen Eiland etwa 750 km vom kolumbianischen Festland entfernt, rund 250 km von Nicaragua. Die unendliche Artenvielfalt und deren natürliche Lebensräume sind uns meist nur im Film, in Zeitschriften oder Büchern in vollem Umfang zugänglich. Selten ist man heute tatsächlich noch Gast in einer Welt, die von Tieren gestaltet ist, sieht wie sie leben und ordnet sich ihnen wohlwollend unter. In Kolumbien wurde ich zu einem solchem Gast. Was im Dschungel mit seiner unendlichen Vielfalt an Geräuschen vor dem Fenster unserer Unterkunft begann, sollte auf Providencia fortgesetzt werden.

So war es unnötig, an jenem Nachmittag, als ich Benni an der Tauchschule ablieferte, ein Buch einzupacken. Ein Fernglas und die viele Zeit, die ich hatte wären ausreichend gewesen.

Auf dem langen weißen Sandstrand suchte ich mir ein schattiges Plätzchen zum verweilen und lies mich schließlich unter einer herunterragenden Kokospalme nieder. Lange hatte ich nicht mehr stundenlang an einem Strand gesessen, noch nie an einem so wunderbaren. Plump ausgedrückt, könnte man es als malerisch bezeichnen, ich möchte lieber mit dem Wort surreal beschreiben, was ich hier erblickte. Diese Art von Stränden sind durch Barcardi- und Raffaelo-Werbespots weltweit bekannt geworden. In Flitterwochenangeboten und kitschigen Filmen tauchen sie auf. Jeder Ramschladen verkauft billige Poster von ihnen, die zahlreiche Wände träumender Groß- und Kleinstädter zieren. In den Büros sieht man sie auf Desktophintergründen und manchmal werden sie per E-Mail verschickt, zur Aufmunterung der gelangweilten Angestellten. Ja, an solch einem Traumstrand saß ich gerade. Konnte ihn anfassen. Ich dachte, ein Meer hat immer eine tosende Brandung, starken Wind, aber an diesem weht ein leichtes lauwarmes Lüftchen, das hin und wieder eine Ecke meines Handtuchs anzuheben versucht.

Vor mir liegt ein blaugrau-grüner gigantischer wohl temperierter salzig schmeckender Swimmingpool. Bunte Fischschwärme ziehen vorbei, Rochen tummeln sich, Schildkröten lassen sich treiben. Auf dem Sandboden erblicke ich zahlreiche Augenpaare gelber Karibikkrabben, die von einem zum nächsten Loch hasten. Meine Blicke wandern abwechselnd zu den gemütlich wankenden Booten im Wasser, den elegant wedelnden Palmen hinter mir und den Echsen, die an den Palmen herauf klettern, um vielleicht eine bessere Aussicht zu genießen. Eine Möwe schwebt vorbei, schnappt sich eines der erschrockenen Augenpaare vom Sandboden und fliegt mit der hektisch zappelnden Krabbe im Schnabel davon. Ob sich die anderen Krabben für den Rest des Tages im Sand vergraben? Vielleicht haben sie ein kurzes, dafür aber paradiesisches Leben.

Ich stelle mir vor, mein Leben in Deutschland gegen dieses hier zu tauschen. Sicher hätte ich schon jede Menge romantischer Geschichten geschrieben, vielleicht aber auch nie schreiben gelernt. Womöglich wäre ich eine Fischerin auf karibisch ruhiger See oder Kellnerin in einem Lokal am Strand. Die Menschen hier leben in einfachen Behausungen, aber jeder hat ein Dach über dem Kopf. So versichert es unsere Gastmutter Mariella. So hell der Sand ist, so dunkelhäutig die Bewohner Providencias. Sie sind Kolumbianer mit afrikanischen Wurzeln. Sie sprechen Kreolisch. Touristen sind leicht zu erkennen, denn sie sind bleich und selten. Kaum einer verirrt sich in dieses Paradies mitten im karibischen Meer. Einige Deutsche schon, genau wie wir. Maximal vier Monate darf man sich als Tourist hier aufhalten. Hier, wo es weder politische Auseinandersetzungen, noch Armut oder Drogenhandel gibt. Kokos statt Koks. Auch Piratenüberfälle sind längst Geschichte.

„Ich bin stolz, Kolumbianerin zu sein, aber über das Treiben an der Pazifikküste Kolumbiens weiß ich nichts“, erklärt Mariella.

Nicaragua bekundet seit langem Interesse an Providencia und war bereits, wie auch England und Spanien Eigentümer der Insel. Daher ist kein Inselbewohner jemals dorthin gereist, obwohl es viel schneller zu erreichen wäre, als das kolumbianische Festland. Und irgendwo versteckt zwischen den Bergen gibt es einen Militärstützpunkt – nur zur Sicherheit. Unsichtbar und kaum beschrieben.

Mariellas Töchter leben in Medellín, Stockholm und eine auf Providencia. Über TV und Internet ist man mit der Welt in Kontakt, aber von den schlimmen Sachen will man nichts mitbekommen. Das karibische Idyll ist ein Ort des Friedens. Kein Massentourismus verwandelt naturbelassene Strände in betonierte Promenaden, kaum ein Hurrikan hat sich je hier hin verirrt. Lediglich das Benzin ist manchmal knapp.

Als ich nach Stunden des Träumens auf die Uhr schaue, ist es 18:30 Uhr, eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang. Das Tauchboot ist rechtzeitig zurück, das kleine Strandlokal räumt aber bereits seine Stühle zusammen. Es schließt, wenn der letzte Tourist seinen Sundowner geleert und seine Fischplatte verdaut hat.

Wir spazieren ein wenig durch den schlafenden Ort und erblicken schließlich ein kleines Lokal, wo wir uns niederlassen. Wir genießen Hummer im Regen. Jener Regen, der jeden Abend nach Sonnenuntergang dafür sorgt, dass die Insel am nächsten Tag in den schönsten Farbtönen erstrahlt und die Temperaturen gerade so hoch steigen, dass es nicht zu unangenehm wird.

Posted by:WORTWIND

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