Stell dir vor, du steigst in eine U-Bahn ein und anstatt loszufahren, beginnt im Inneren eine wundersame Vorstellung. So erging es mir in meinem Traum, den ich nun mitteilen möchte.

Bepackt mit zwei Kindern und einem Kinderwagen war ich auf dem Weg zur U-Bahn. Ich war verabredet und spät dran. Zwischendurch schrieb ich immer wieder Nachrichten, in denen ich meiner Verabredung erklärte, warum sich meine Ankunft um eine weitere Viertelstunde verzögern würde. Sie war geduldig und verständnisvoll. Ich konzentrierte mich auf die U-Bahn, denn wie immer herrschte unterirdisch heilloses Chaos und man musste gut aufpassen, um zur rechten Zeit am rechten Gleis zu stehen. Gleis 8 hieß es für mich und ich hetzte mit den Kindern und dem Kinderwagen durch das gewaltige U-Bahn-Gelände. Eine steile Treppe führte aus dem Dunkel nach oben ins Freie, die Station war ausnahmsweise nicht unter der Erde. Auf halber Treppe sah ich die Bahn einfahren. Sie hatte nur einen Waggon und war blau mit goldener Verzierung – ganz anders als die anderen U-Bahnen. Das sollte mich nicht kümmern, schließlich war ich spät dran. Was mich störte, war ein älteres Ehepaar, sie hatte sich bei ihm eingehakt. Gemeinsam erklommen sie ganz langsam Stufe für Stufe der steilen Treppe. Als wären sie auf dem Weg in die Oper. Oben sah ich die Leute einsteigen und sie taten das ebenfalls langsam. Ich drängelte trotzdem an dem Ehepaar vorbei und schubste mich und andere durch die schmale Tür der U-Bahn. Das Ehepaar saß plötzlich schon da, keine Ahnung, wie sie das gemacht hatten. Und ich habe auch keine Ahnung, wie ich die 1.000 Treppenstufen mit zwei Kindern und einem Kinderwagen gemeistert hatte. Jedenfalls saß ich nun in der Nummer 1 und war abfahrbereit. Die Türen schlossen sich und es wurde dunkel. Ich wunderte mich noch über die Anordnung der Sitzplätze, als eine schmale, langhaarige Frau aus den Reihen hervortrat und zu musizieren begann. Begeistert sah ich ihr zu und hatte schon bald vergessen, dass ich verabredet war. Ein Moderator älteren Semesters tat sich hervor und freute sich, dass „es mal wieder klappt“.

Alle Menschen waren in Samt und Seide gekleidet und tranken Wein aus großen Gläsern und diskutierten über Musik und die vergangenen Vorstellungen. Ich hatte das Gefühl, dass sich alle kannten. Nach einiger Zeit erinnerte ich mich, dass Nachmittag war und ich verabredet und wurde unruhig. Wir fuhren immer noch nicht. Ich fragte meinen Sitznachbarn, wann wir endlich losfahren würden und er antwortete: „Noch nicht.“ Mein Geduldsfaden riss und die Kinder machten sich bemerkbar, also fragte ich lauter und zorniger, ob wir denn keinen Stau verursachen würden, wenn wir hier stünden. Erschrocken und mit dem Ausdruck, als wäre meine Frage äußerst verwunderlich, drehten sich die Leute um. Mein Sitznachbar klärte mich auf. Die U-Bahnen würden sich erst ab der nächsten Station wieder kreuzen, hier käme selten eine entlang. Ich nahm die Erklärung anscheinend so hin und war gewillt, auszusteigen und zur nächsten Station zu laufen. Die Vorstellung war in vollem Gange. Es stieg Nebel empor und immer wieder traten neue Künstler aus dem Publikum hervor. Man konnte sein eigenes Vorhaben schon einmal darüber vergessen, aber irgendwie, es muss an der U-Bahn gelegen haben, war ich gehetzt. Von U-Bahnen ist man ein anderes Tempo gewöhnt. Sie sind mit aufspringen und abspringen verbunden und nicht mit theaterhaften Darbietungen und weintrinkenden Menschen in Samt und Seide. Es passte nicht zusammen. Der Tag und die Stadt holten mich ein und ich wollte hier raus und weiter. „Wir fahren auch gleich langsam weiter“, tönte der Moderator, der sich vorhin darüber freute, dass es mal wieder klappt. Sollte ich sitzen bleiben? Der Moderator teilte sein Instagram-Profil mit allen, auf seinem Profilbild sah er deutlich jünger aus und küsste einen Hund. Auch mein Sitznachbar zückte nun sein Smartphone und öffnete Instagram. Er war mindestens 55 Jahre alt. Ich war wohl aber auch schon etwas älter, stellte ich fest, als ich mein eigenes Profilbild auf Instagram sah, weil ich nun auch allen Leuten im Zug folgen wollte. Die Kinder quengelten und erinnerten mich daran, dass wir auf den Spielplatz wollten. Der Kinderwagen stand sorgfältig zusammengeklappt hinter den Sitzreihen (Ich habe keine Ahnung, wie in diese U-Bahn überhaupt amphitheaterähnliche Sitzreihen passten, aber so sah ich das Innere nun mal). Wenn ich den Kinderwagen herausnehmen hätte wollen, wäre das mit einem unglaublichen Aufwand und einer ziemlichen Störung der Vorstellung verbunden gewesen. Also blickte ich immer wieder abwechselnd zu Kinderwagen und Tür und hoffte darauf, dass wir bald weiterfuhren, obwohl ich die Darbietung mochte. Teilweise lösten sich die Leute inzwischen für Plaudereien von ihren Plätzen, ein Mann schenkte Wein nach. Man fragte mich, wie ich hier her geraten war und freute sich, dass auch Kinder beiwohnten. Niemand schien es eilig zu haben, obwohl einige so aussahen, als wären sie gerade auf dem Weg ins Büro gewesen. Ich begann, mich sehr wohl zu fühlen und freundete mich mit der Vorstellung und ihren Menschen an. Auch die Kinder akzeptierten das Theater und man schenkte ihnen Wasser in ihre Weingläser. Noch eine Weile später tanzten alle und ein paar Menschen machten Musik mit Gitarren, Kontrabässen, Trommeln. Meine Verabredung schien weiterhin geduldig, obwohl ich mich langsam fragte, ob ich sie noch am gleichen Tag erreichen würde. Da, plötzlich, hallte eine Stimme in das bunte Treiben: „Nächste Station, Konstablerwache“. Ich wachte auf, stieg aus und kam pünktlich an.

Posted by:WORTWIND

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